- realfiktion
- 11. Dez. 2024
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 21. Feb.
06.09.2020
Die Kunst leichter zu werden.
(1) Chronik des laufenden Verschwindens: die Mütze an einen Abgrund verloren, die liebsten Schuhe bestattet, nach zehn guten Jahren; Kopfhörer, Regenschirme, Schutzmasken, Medikamente: alles weg. Auch Geld losgeworden über den Sommer hin, aber nicht so viel: Ein Stück Torte in Travemünde in jeder Hinsicht weniger wert als fünf Wochen Glück in New York.
(2) So also eine Schutzschicht nach der anderen abgeschält, getrennt auch von unbedarften Ideen; Verantwortung zurückgegeben, Pläne begraben, rücksichtslos von Hoffnung befreit. Ziele, Wege, Richtungen: zweckloser Ballast.
(3) Die zwei Damen in „Annie Hall“ über das Restaurant in den Catskills: “Boy, the food at this place is really terrible.” – “Yeah, I know; and such small portions.”
(4) Motto Travemünde: „Mehr vom Schlechten“. Verkehrsberuhigt nur, damit man länger bleiben muss, die Regenfront über der Strandpromenade wie eine gigantische Sonnenfinsternis. Man sieht sie heraufziehen und spürt doch noch Wärme und denkt so lange darüber nach, ob man nicht Lust hätte zu baden, ein letztes Mal, bevor es zu spät ist – bis es zu spät ist. Die Bastmatte in den Müll geworfen, durchnässt ins Café. Marzipanverkleisterte Torten.
(5) Entäußerung, Entlastung, Verzicht. Offene Rechnungen zerrissen, alte Briefe. Zwei Dutzend Bücher aussortiert, für die Nachbarn. Man soll sein Herz nicht an Dinge hängen. Und irgendwann wieder beginnen, sich selbst herzugeben. (Weisheit!)
(PS) Zwei Damen am Nebentisch: „18 Millionen Euro für das Jüdische Museum in Berlin! Und das in diesen schweren Zeiten! Während andere! Dafür ist also Geld da! Na da weiß man ja gleich!“ Womöglich muss man gar nicht auf die Reichstagstreppe starren, um zu wissen, wie dieses Land tickt. Überall Platz für ein bisschen Antisemitismus, mit Marzipan- und Sahnehäubchen.


Kommentare