- realfiktion
- 8. Sept. 2024
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Aktualisiert: 20. Feb.
11.03.2016
(1) „Vielleicht könnte man zu seiner Entschuldigung anführen, dass das Leben in gewissen Jahren unglaublich schnell entflieht. Aber der Tag, wo man beginnen muß, seinen letzten Willen zu leben, ehe man dessen Rest hinterlässt, liegt weit voran und lässt sich nicht verschieben. Das war ihm drohend klar geworden, seit fast ein halbes Jahr vergangen war, ohne dass sich etwas änderte. Während er sich in der kleinen und närrischen Tätigkeit, die er übernommen hatte, hin und her bewegen ließ, sprach, gerne zuviel sprach, mit der verzweifelten Beharrlichkeit eines Fischers lebte, der seine Netze in einen leeren Fluss senkt, indes er nichts tat, was der Person entsprach, die er immerhin bedeutete, und es mit Absicht nicht tat, wartete er. Er wartete hinter seiner Person, sofern dieses Wort den von Welt und Lebenslauf geformten Teil eines Menschen bezeichnet, und seine ruhige, dahinter abgedämmte Verzweiflung stieg mit jedem Tag höher. Er befand sich in dem schlimmsten Notstand seines Lebens und verachtete sich für seine Unterlassungen. Sind große Prüfungen das Vorrecht großer Naturen? Er hätte gerne daran geglaubt, aber es ist nicht richtig, denn auch die simpelsten nervösen Naturen haben ihre Krisen. So blieb ihm eigentlich nur in der großen Erschütterung jener Rest von Unerschütterlichkeit übrig, den alle Helden und Verbrecher besitzen, es ist nicht Mut, es ist nicht Wille, es ist keine Zuversicht, sondern einfach ein zähes Festhalten an sich, das sich so schwer austreiben lässt wie das Leben aus einer Katze, selbst wenn sie von den Hunden schon ganz zerfleischt ist.“
(2) Da, wo Musil am Roman schrieb, ist heute ein Tommy-Hilfiger-Store.


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