- realfiktion
- 9. Dez. 2024
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Aktualisiert: 21. Feb.
12.07.2020
Wie deutsch ist es? (Teil XII)
(1) Das Land umzu nennt sich „Die griese Gegend“. Spröde, graue Böden, unter Wolken geduckte Häuser, alles atmet Lebensüberdruss und niederen Groll gegen sich selbst.
(2) Alberne Hoffnung, damit endlich irgendetwas Selbstidentisches zu sehen: mal kein Städtchen, das so tut, als sei es Konstantinopel. Mal kein Hügel, von dem die Einheimischen glauben, er ersetze die Schweiz. Mal kein Dorf, das vorgibt, die Kulturscheune sei ein Schauspielhaus, der Asia-Imbiss (Bushaltestelle) laufe unter ‚Gastronomie‘ und das Glasfaserkabel, das 2025 nun aber wirklich kommen wird, bedeute eine Verbindung zur Welt. Endlich nichts Nachgeahmtes und Gewolltes, sondern etwas, das den entscheidenden Mangel der Provinz selbstbewusst ausstellt statt ihn zu verbergen: nie und in nichts eine Wahl zu haben.
(3) Erster Eindruck von Ludwigslust stimmig: kaum Menschen, regionaltypischer Mix (Bundeswehr, Hansa Rostock, Thor Steinar). Aufgehübschte Platte im Außenbezirk, Farbtupfer durch passiv-aggressive „Ausfahrt freihalten!“-Schilder. Verkaufsgespräche ohne das hier verpönte freundliche Wort zuviel: „Das? Passend zahlen.“
(4) Trotzdem viel Widerspruch in Schein und Wesen, beginnend mit dem Namen der Stadt: entgrenzter Lustbegriff, leere Ironie, so als würde man Chemnitz umtaufen in „Flüchtlingsglück“. Dann überhaupt die Idee, ausgerechnet in dieser Grauzone eine Barockresidenz anzulegen und französische Architekten einzukaufen, für deren Glamour man gar kein Geld hat – Ergebnis: Schloss und Kirche sind gigantisch groß, aber zum Teil aus Pappmaché, die Kunstsammlung enthält von Rembrandt und Veronese nur Imitate, der Bildhauer der Löwen vor dem Mausoleum besaß offenbar wenig Ahnung davon, wie diese Tiere in Wirklichkeit aussehen, und das „Schweizerhaus“ im Park hat Backsteinmauern und Reetdach. Alles weist auseinander, wirr, lose, willkürlich, wieder nur gewollt und nicht gekonnt.
(5) Aber so ist das nun mal. Ausfahrt freihalten, Freiheit aushalten.


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