- realfiktion
- 21. Dez. 2024
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 30. Jan.
19.04.2023
(1) „Wenn ich mich nie wieder mit etwas beschäftigen will sage ich, ich behalte das mal im Blick.“ (Pollockk Dilemma)
(2) Beim Essen erzählt er zweimal die Geschichte von der Elster, die im Garten frischgeschlüpfte Küken aus einem anderen Nest gefressen hat. „Wir haben sie seit Februar achtmal gehört. Du warst ja länger nicht hier.“
(3) Spricht auch langsamer und schweigt länger als beim letzten Besuch. Nicht dass er nicht immer noch alles am besten wüsste und sich selbst am liebsten reden hören würde – aber ihm fallen die Wörter nicht mehr ein.
(4) Später, während er mit den beiden herrisch durch den Garten stapft um irgendwelche Blumen zurechtzuweisen, steht sie plötzlich neben mir am Fenster und weint. „Jetzt siehst du es mal. Und dann will er mir immer irgendwas erklären und kann es nicht und läuft weg. Aber er geht nicht zum Arzt, er geht ja nicht zum Arzt!“ Wie man dann eben tröstet: Es ist der Lauf der Dinge. Es ist das neunte Jahrzehnt, ein schwieriges Alter. Es ist vielleicht nichts. Wir behalten das mal im Blick.
(5) Eine Schachtel mit seinen alten Schulheften, Anfangsunterricht 1948, Buchstaben und Wörter in deutscher Schrift, geschrieben mit Feder und schwarzer Tinte. Schon bei Millimeterabweichungen missgünstig korrigiert, kommentiert und zensiert, nirgendwo Lob. Im Malheft das gleiche: Sämtliche Kinderzeichnungen benotet, keine besser als Drei. „Genauer ausmalen!“ „Unordentlich!“ „Die Farben!“ Die Paraphe des Lehrers sieht aus wie ein feinverschnörkeltes Hakenkreuz.
(6) Nachmittagskaffee: als Versuchsballon das Thema „Kunst“, das immer ein Selbstläufer war. „Gestern war ich in einer Ausstellung“ – „Ah, wo denn?“ Auf meine Antwort keine Folgefragen, keine kunstgeschichtlichen Vorträge, nur verstohlene Blicke in den Garten. Diese Elster!
(7) Um gleich alt zu werden, müsste ich bis ins Jahr 2058 leben. Wie man sich eben tröstet: So weit wird’s schon nicht kommen.


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