top of page
  • realfiktion
  • 19. Dez. 2024
  • 1 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 21. Feb.

29.04.2022

(1) Mutter 80, melancholisch werden alte Fotos hervorgekramt, auf der Suche nach der verlorenen Zeit: Hier der zweite Sohn 1981, eingerahmt von ihrer Mutter und deren Schwester – beide damals jünger als sie heute. „Schau, du warst so ein fröhlicher Junge.“ – „Es sieht aus wie die letzte Einstellung von ‚Das Omen‘, wo das Satanskind direkt in die Kamera lächelt.“ – „Ach ja. Aber du warst so fröhlich!“

(2) Tapeten an der Nordseite voller Schimmel. „Sanieren schaffen wir nicht mehr. Aber die Zimmer sind ja eh unbewohnt.“ Immerhin haben sie Rauchmelder angebracht, nach dem Küchenzwischenfall. Ganz egal ist ihnen das Haus noch nicht.

(3) Alle Räume bis an die Decke voll mit Büchern, 15.000 oder mehr, Summe dreier Generationen, die alle mehr in der Kunst zuhause waren als im Leben. „Den archäologischen Nachlass kriegt das Landesmuseum, die andere Hälfte müsst ihr dann aussortieren.“ Entdecke im ersten Stock meine alte Lesefibel und einen Traktat des Erzbistums über Exorzismus, offenbar kurz nach meiner Geburt angeschafft. Auch ein Omen. (Dabei sind sie nicht mal katholisch!)

(4) Keine Verwendung für 8000 weitere Bücher. Unbeantwortbar schon jetzt, schon immer, schon bei viel Schlaueren: Was nützt mir all mein Geist?

(5) Das Kinderbett von der schwarzen Wand abgerückt, schlechter Schlaf. Immerhin Internetempfang, auf der Nordseite. Die halbe Nacht der Frau im rosa Kleid nachrecherchiert, der ich nur dieses eine Mal im Leben begegnet bin: Großtante Dora, emigriert noch vor 1933. Und laut online-Zensusunterlagen 1940 gemeldet an einer Adresse drei Blocks entfernt von meinem letzten New Yorker WG-Zimmer. 1719 Putnam Avenue, Ridgewood. Kleiner Planet, immerhin.

(6) „Du hast so fröhliche Hemden getragen, früher.“ – „Mach dir keine Sorgen. Alles exorziert.“


Comments


Subscribe

Thanks for submitting!

© 2025 by Realfiktion

bottom of page